Liebe Sarah, stell dich und deine Familie doch zu Beginn kurz vor. Wer seid ihr? Wie kam es zu der Weltreise mit Kind?
Wir sind eine kleine, chaotische, liebevolle und irgendwie doch ziemlich normale Durchschnittsfamilie aus Mainz. Julian ist Neurologe und macht leidenschaftlich gern Musik. Ich (Sarah) habe kurz vor Beginn unserer Reise mein Soziologie-Studium beendet und der Traum von einer Weltreise schlummerte schon lange in meinem Kopf.
Bevor Alejandra vor drei Jahren geboren wurde, sind wir bereits viel miteinander gereist. Da unsere Lebenssituation nie besonders gesettelt war, kam für uns auch ein klassisches „settle down“ mit Kind nicht in Frage. Wir fragten uns stattdessen: Wie wollen wir unser Leben als Familie führen? Was ist für uns möglich? Und was macht uns glücklich? Die Antwort war schnell gefunden: Wir wollen Zeit miteinander verbringen, arbeiten, reisen – am besten alles auf einmal. Und so teilten wir uns die Elternzeit gleichwertig auf und flogen 2012 mit unserem Baby nach Neuseeland, Australien und Singapur. Eine großartige Erfahrung, die wir unbedingt ein weiteres Mal machen wollten. Wir sammelten also all unsere Reserven zusammen und starteten ab Oktober 2013 unsere achtmonatige Reise, wieder Richtung Ozeanien.
Welche Länder beinhaltet eure lange Reise und wie sehr hat die neuseeländische Lebensart die Familie bei eurem sechsmonatigen Aufenthalt beeinflusst und verändert?
Unsere Reise begann in San Francisco/USA, wo wir die tolle Möglichkeit hatten, einen Freund von mir zu besuchen und auch bei ihm zu wohnen. Das war wunderbar, da wir gleich in die amerikanische Lebensart eintauchen konnten und nicht in einem anonymen Hotel unterkommen mussten.
Als nächstes ging es dann nach Auckland/Neuseeland. Wir lieben Neuseeland und waren bereits das dritte Mal dort. Dieses Mal sollten es jedoch nicht nur ein paar Wochen sein, sondern sechs Monate. Soviel Zeit braucht man, um sich wirklich in ein Land einfühlen und seine Bewohner kennenlernen zu können. Und die Neuseeländer machen einem das sehr leicht: Soviel Herzlichkeit haben wir nie zuvor erlebt. Hier erntet man Anerkennung nicht über Status und Besitz, sondern über Teilen und der Unterstützung des Gemeinwohls. Besonders gut beobachten konnten wir diesen „Way of Life“ beim Couchsurfen: Viele Neuseeländer bieten kostenlos ihre Gästezimmer an und lassen einen am Alltag teilnehmen. Sie sind in der Regel überaus selbstlos und sprechen ihren Gästen großes Vertrauen aus. Kurz gesagt: Sie nehmen Dich, wie Du bist, solange Du ihre Hilfsbereitschaft nicht ausnutzt. Arroganz und egozentriertes Verhalten wird gar nicht geschätzt. Da wir unserer Tochter die gleichen Werte vermitteln wollen, kam uns diese Haltung sehr entgegen.
Des Weiteren waren wir noch auf den Cook Inseln, in Australien, auf Neukaledonien, Vanuatu, Fidschi, Amerikanisch-Samoa, Hawaii, in Seattle, Port Angeles und Kanada unterwegs. Eine Reise durch den pazifischen Feuerring, sozusagen :-)
Welche Erfahrungen haben euch während der Reise durch Neuseeland als Familie näher zusammen gebracht?
Unsere Reise war ein einziges Abenteuer. Kein Tag war wie der andere und wir hatten wenig Routine. An einem Tag waren wir bei Couchsurfern unterwegs, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Am nächsten schliefen wir wieder irgendwo auf einer DOC-Site (Anmerkung: Basis-Campingplatz mit Plumpsklos und kalten Duschen, in der Regel inmitten der Natur) in unserem gekauften Sleeper-Van „Moana Klümmel“, was für Alejandra immer besonders spannend war. Und am übernächsten Tag sind wir spontan auf die Cook Inseln geflogen, weil wir nach einer langen Regenzeit mal Lust auf etwas Sonne hatten.
Diese Art zu Reisen ist so abwechslungsreich, dass wir gar keine andere Möglichkeit hatten, als zusammenzuhalten wie Pech und Schwefel. Mit der Zeit wurden wir immer mehr zu einem eingespielten Team, das auch schlechte Erfahrungen gut kompensieren konnte. Wenn man beispielsweise nachts mitten im Nirgendwo in seinem Auto im Wald schläft, ohne Handyempfang und eine Stunde Autofahrt bis zur nächsten Zivilisation, und das zweijährige Kind sich mehrmals hintereinander erbricht und alles nur noch Chaos ist, man aber nichts hat außer abgefülltes Wasser und eine Taschenlampe, dann geht das schon an die Substanz. Doch solche Situationen gehören zum Reisen eben dazu. Und zu Tagesanbruch konnten wir alle schon wieder lachen.
Was waren die schönsten Erlebnisse für euch als Familie in Australien?
Australien ist wie Neuseeland ein wahnsinnig aufregendes Reiseland und für reisende Familien wie geschaffen. Wir hatten hier eine menge schöner Erlebnisse, die besonders mit Tieren und der Natur zu tun hatten. Wir waren beispielsweise am südlichsten Zipfel des australischen Festlands, im „Wilsons Promontory National Park“. Keine Menschenseele weit und breit, dafür Koalas, Emus und Kängurus in freier Wildbahn. Für Alejandra war das ein ganz besonders spannendes Erlebnis. Dazu gabs eine Wanderung zum Gipfel des Mount Oberon, dessen Ausblick unbezahlbar ist.
Ein weiteres Highlight war die „Great Ocean Road“ im Süden von Australien. Hier haben wir ebenfalls Koalas in den Bäumen hängen sehen und tolle Wanderungen gemacht, direkt an der Küste entlang. Kleine „Schatzsucher“ kommen hier voll auf ihre Kosten, es liegen nämlich überall Pāua-Muscheln an den Stränden herum.
In dem kleinen Städtchen „Apollo Bay“ haben wir uns besonders wohl gefühlt. Hier gibt es eine sehr ausgefallene, ökologisch saubere Jugendherberge mit freundlichen Besitzern, die ein Kind in Alejandras Alter haben. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Da man nicht viele Familien auf Reisen trifft, ist es schön, ab und zu Anschluss zum Spielen und Toben zu finden.
In eurem Bericht über Melbourne schreibt ihr selber, dass ihr dort ohne Kind sicher einiges verpasst hättet. Wie ändert ein Kind die Wahrnehmung einer fremden Stadt?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass klassische Städtetrips mit Sightseeing und allem drum und dran mit Kind nicht mehr möglich sind. Daran ist aber auch nichts verkehrt, denn man nimmt eine Stadt auf einmal mit ganz anderen Augen wahr. Die Suche nach Spielplätzen hat uns beispielsweise immer in Wohngebiete geführt, die wir als Standard-Touristen nie besucht hätten. Hier haben wir dann wiederum Eltern kennengelernt, mit denen wir stundenlang über Gott und die Welt philosophieren konnten. Da ging es um ganz alltägliche Dinge wie: „Ist dein Kind auch schon trocken? Ach ja, mein Kind teilt auch so ungern Spielsachen“ usw.
Diese Dinge werden dann eben wichtiger, als sich diese oder jene Attraktion anzuschauen. Doch wir halten uns in der Hinsicht auch flexibel. Wenn wir eine Sehenswürdigkeit unbedingt sehen wollen, dann machen wir das natürlich. Ein Tag hat 24 Stunden, die man gut zwischen den Bedürfnissen der Eltern und denen des Kindes aufteilen kann. Und oftmals findet man auch Dinge, die allen Spaß machen. In Melbourne wollten Julian und ich beispielsweise unbedingt den „Eureka Tower“, eines der höchsten Gebäude der südlichen Hemisphäre, besuchen. Das hat auch Alejandra viel Spaß gemacht.
Kontakt mit Einheimischen, ein Tag im Kindergarten auf Dravuni Island. Was hat eure Tochter an dem Tag wohl gelernt?
Wir haben vor allem an dem Tag gelernt, dass Alejandra überhaupt keine Berührungsängste hat. Egal ob Hautfarbe, kurze oder lange Haare, Sprachbarrieren oder Geschlecht – sie nimmt alles und jeden, wie er oder sie ist. Und sie kann sich angstfrei auf neue Situationen einlassen, da sie weiß, dass sie uns als Stütze im Hintergrund hat.
Wie kommt Alejandra mit dem Rumreisen, den häufig wechselnden Eindrücken zurecht?
Da sind wir verwöhnt, damit hat sie keinerlei Probleme. Vielleicht, weil wir sie von Anfang an dran gewöhnt haben. Mit 6 Wochen war sie auf ihrer erster Autoreise durch die Schweiz, Italien und Frankreich, unser erstes Reiseexperiment sozusagen. Mit einem halben Jahr ging es das erste Mal ins Flugzeug nach La Gomera/Kanarische Inseln und mit acht Monaten ist sie bereits um die halbe Welt gereist. Mit knapp einem Jahr fuhren wir schließlich mit dem Schiff auf die Faröer Inseln und Island. Das hat sie alles so selbstverständlich hingenommen, dass es für uns nicht mehr zur Debatte stand, ob sie eine mehrmonatige Weltreise „aushalten“ würde. Für Alejandra steht beim Reisen der Aspekt im Vordergrund, dass sie 24 Stunden am Tag über viele Wochen und Monate mit uns zusammen ist. Daneben hat sie die ganze Welt zum toben. Was kann ein kleines Kind glücklicher machen?
Ihr habt verschiedene Reisevarianten ausprobiert: Camping, Couchsurfing, Hotel, Kreuzfahrtschiff usw. Was stellte sich als besonders geeignet für das Reisen mit Kind heraus?
Camping war unser absoluter Favorit. Auf diese Weise muss man zwar oft auf viele Annehmlichkeiten wie warme Duschen, Strom oder eine funktionierende Internetverbindung verzichten. Doch das basale Leben macht erfinderisch und kann dadurch richtig Spaß machen. Als wir beispielsweise mehrere Tage auf einem DOC-Campingplatz am Meer in Neuseeland verbrachten und Alejandra dringend mal wieder eine Badewanne benötigte, haben wir eine Plastikschale, die uns eigentlich als Spülbecken gute Dienste erwies, zur Kinderbadewanne umfunktioniert. Das Wasser haben wir aus Flaschen genommen, auf dem Gaskocher erwärmt und mit einem Stück Seife in die Plastikschale gefüllt. Fertig war die Kinderbadewanne unter freiem Himmel!
Couchsurfing ist aber mindestens ebenso schön wie Camping. Und gerade in Neuseeland haben die Leute überhaupt kein Problem, Familien in ihre Gästezimmer einzuladen. Gerade Rentner und Familien eignen sich dafür besonders: Sie haben oft Spielsachen in Hülle und Fülle anzubieten. Wir waren aber auch mal bei einem Couchsurfer mittleren Alters, der in seinem großen Haus mehrere Couchsurfer auf einmal unterbringen konnte. Abends saßen wir dann immer alle zusammen, Menschen unterschiedlichen Alters und Herkunft, haben zusammen gekocht und einfach die Gesellschaft genossen. Das sind schöne Erlebnisse, die man in keinem Hotel und auf keinem Kreuzfahrtschiff hat. Deswegen bleibt diese Art von Unterkünften auch eher die Ausnahme bei uns.
Mittlerweile ist Alejandra eine routinierte Reisende. Fand sie Fliegen von Anfang an gut?
Fliegen war glücklicherweise nie ein Problem. Wir leben in einer Einflugschneise im Rhein Main Gebiet und die Flugzeuge segeln fast täglich im Tiefflug über unsere Köpfe nach Frankfurt. Flugzeuge haben also eine besondere Faszination auf Alejandra um im Gegensatz zu vielen Fluglärmgegnern genießen wir die Nähe zum Frankfurter Flughafen. Je älter sie wird, desto bewusster nimmt sie das Fliegen auch war. Auf unserem letzten Flug von Vancouver nach Frankfurt durfte sie sogar mal den Piloten begrüßen, dessen Autorität sie immer besonders beeindruckt. Sie möchte auch mal Pilotin werden, wenn sie groß ist.
Ist es auf Reisen mit einem kleinen Kind schwieriger als an einem festen Wohnort oder doch einfach nur anders?
Es ist nicht schwieriger, es ist anders. Auf Reisen durchleben wir mit Alejandra beispielsweise dieselben Entwicklungsphasen wie zuhause. Jeder weiß, dass zweijährige Kinder nicht immer einfach sein können. Sie wollen mit aller Macht ihren Willen durchsetzen und testen ohne Rücksicht Grenzen aus. Das kann Eltern manchmal ganz schön zur Weißglut bringen. Doch wenn wir die Wahl haben, diese Trotzphase mit Alejandra in Neuseeland oder in Deutschland durchzumachen, dann ziehen wir eine Reise durch Neuseeland definitiv vor. Wir haben dann viel Zeit und sind entspannt, genau das, was ein Kind in dieser Phase braucht.
Logistisch gesehen ist es auch kein großes Problem. Wir haben immer nur das nötigste an Gepäck dabei und brauchen nicht lange, um uns auf zwei Koffertaschen zu organisieren. Im Säuglingsalter war das zwar auch noch etwas komplexer, da wir für Alejandra nie genug Fläschchen, Milchbrei und Windeln dabei haben konnten. In gewisser Weise war es aber auch einfacher. Sie hat mehr geschlafen, konnte bequem im Tragerucksack transportiert werden und wollte nicht mehr als regelmäßig gefüttert und gekuschelt wer-den. Heute hat sie wesentlich mehr Ansprüche, denen wir gerecht werden müssen.
Was ist euer skurrilstes/seltsamste/schönstes Souvenir und wo habt ihr es gefunden?
Unsere Buzzy Bee! Die Buzzy Bee ist eine Holzbiene, die jedes Kleinkind in Neuseeland in seiner Spielkiste hat. Früher noch in Neuseeland selbst hergestellt, wird sie heute Made in China produziert und kostet unverschämte 40$. Aufmerksam geworden auf die Buzzy Bee sind wir durch unsere Couchsurferin Patricia aus Rotorua/Neuseeland, die sie aus einer Kellerkiste für Alejandra hervorgeholt hat. Buzzy Bee ist echt Kiwiana!
Wie geht eure Reise weiter?
Für Alejandra und mich geht es sehr bald weiter. In 2 Wochen fliegen wir wieder nach Singapur zu Couchsurfern und im Anschluss nach Australien, um meine jüngere Schwester auf ihren letzten Wochen „Work & Travel“ zu begleiten. Die Idee kam spontan, da Alejandra vor September noch keinen Kindergartenplatz bekommt. Da ich keine Lust hatte, die ganze Zeit zu Hause zu sitzen, haben wir den Verkauf unseres Autos in Neuseeland kurzerhand in ein Flugticket für uns beide investiert. Julian werden wir zwar sehr vermissen, aber er hat einen Job, in den er nach unserer Reise zurückkehren konnte.
Vielen Dank, liebe Sarah, für dieses offene, ausführliche Interview!
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